Tango & Bandoneon

Tango & Bandoneón

      Trinität | Erhalt des Tango | Bandoneónistas | Metamorphosen

Ohne Allüren und als instrumentales Einzelkind verlieh das “Bandoneón” in der “neuen Welt” dem Tango seinen typischen Klang. Die Entwicklung der Tonalität der Instrumente fand von ca. 1830 bis weit über die Jahrhundertwende in Sachsen statt. Wenige aber entscheidende Merkmale des Instrumentes lassen sich identifizieren.

  1. ) Der oktavierte Ton im Diskant und Bass.
  2. ) Schwebefreie Stimmung.
  3. ) Die Töne sind modulierbar durch die Balgführung.
  4. ) Die Mensur lässt große Tonsprünge zu.
  5. ) Einzeltöne lassen vollchromatische Harmonik bzw. Akkorde und Bassläufe zu

 

Die Trinität des Tangos – die Komposition, das Spiel und der Tanz.

 

Die Tänzer vollführen die Passion der Pose, Betörung und Erliegen. Die Komposition verarbeitet elegische Hoffnung, flammende Leidenschaft, Schwermut & Heimweh, grandioses Scheitern und Neuanfang der geflüchteten Europäer in die neue Welt Südamerikas (BpB). Und im Spiel erduldet das atmende Instrument Bandoneón den Weltschmerz auf Zudruck, entfaltet seinen Klang beim “Luftholen” und hinterläßt Tänzer und Zuhörer für Augenblicke entrückt.

Und dabei besitzt dieses Instrument etwas faustisches: um es einigermaßen kunstvoll spielen zu können – muss man sich ihm voll und ganz hingeben. Die Komponisten des Tangos haben es vermocht, aus den unterschiedlichsten musikalischen Einflüssen der “Zugewanderten” einen eigenständigen komplexen musikalischen Wertekanon zu schaffen. Seines musikalischen Anspruches und der modulierten Emotionen wegen, findet der Tango Zuhörer auf der ganzen Welt. Die allerbesten Galahäuser der Welt verzaubert der Tango in verruchte Kaschemmen der Hafenviertel Montevideos und Buenos Aires. Auch ist der Tango politisch, weil er die Ohnmacht derer auszudrücken vermag, die ihn kreierten. Wer den Tango mit Arroganz vorträgt oder tanzt, sieht in ihm nur die romantische Verklärung des unbelehrbaren Chauvinismus. Bei den Tänzern wird diese Tragik in unzähligen Foren diskutiert. Frauen und Bandoneón war traditionell nicht vorgesehen.

 

Werte erhalten – Don’t cry for me argentina

Argentinien bangt um den Erhalt des Tangos und mit ihm verbunden der Ausverkauf des Bandoneóns. Unbegründet ist dies keineswegs, denn dass eine hundertjährige Ära tatsächlich enden kann, wie in Deutschland mit dem Bandonion geschehen, ist mindestens registriert worden. Bis 1948 vermutet man 30tsd. bis 50tsd. exportierte Bandonions aus Sachsen nach Lateinamerika. In Argentinien dokterte man nicht am Instrument herum, man blieb konsequent und kompromisslos. Die Hommage in Liedern und Balladen gilt dem legendären “Doble A” der Carlsfelder Firma Alfred Arnold (AA). Im Tango und im Chamamé (traditionelle arg. Polka im 6/8 Takt) wird neben anderen Harmonikas dieser Bandoniontyp bevorzugt. Oscar Fischer, Bandoneónbauer & Leiter des Museums “La Casa del Bandoneon” in Buenos Aires schätzt den Bestand auf etwa 20.000 Instrumente und davon noch 2000 spielbar. Um die endlichen und begehrten Altinstrumente vor nichtspielenden Sammlern zu schützen, wurde ein Gesetz erlassen, was die Ausfuhr verbietet aber offensichtlich nicht verhindert. Da seit 70 Jahren quasi keine neuen Instrumente hinzugekommen sind, ist die Beschaffung und Restauration der alten Instrumente die Herausforderung schlechthin.

“…oder die Stimmen der Bomben der 1940er Jahre haben es zu Grabe getragen. Die Legierung der Metalle, aus denen jene Stahlzungen bestehen, die den unverwechselbaren Klang erzeugen, der uns als „Tango-Klang“ erreicht, ist heute noch nicht reproduzierbar. Die Tuner und Restauratoren verschwinden in einer erbarmungslosen Unaufhaltsamkeit. Keiner von ihnen schafft es, das Geheimnis, der „Kommas del Sonido“, der genauen Abstimmung eines „AA 142″ zu erfassen! Aber jenes ist das Fundament der Tangomusik.“     Carla Algeri (UNESCO-Beauftragte zur Erhaltung und Rettung des Tango)

 

Unesco Tango2009 wurde der Tango in das immaterielle UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Während hierzulande Debatten über Tradition und Werte des Abendlandes geführt werden, ist das Instrument ein exzellentes Beispiel für „zweifelsfreies“ Halbwissen. Jedenfalls die die am lautesten einen vermeintlichen Traditionsverlust beklagen, habe ich beim Erhalt des sächsischen Volksmusikinstrumentes bei meinen Recherchen nicht entdecken können, es sind die fremden Spielerinnen und Spieler rund um den Globus aus Australien, Asien (Japan, Korea, China), Europa (Skandinavien, D, Frankreich, Holland, Ungarn) und natürlich Lateinamerika.

 

Die Spielerinnen und Spieler dieser Erde, die wachsende asiatische Community, lassen hoffen, dass das Bandoneón weiter analog gespielt wird und nicht in den digitalen Archiven verschwindet.

bandokids    “Heute finden wir viele junge Leute auf der ganzen Welt, die mit einer hervorragenden Motorik ausgestattet sind, die sie in die Lage versetzt, die Virtuosität der großen Meister zu erreichen; aber Ihnen fehlt die Seele des Tango in ihrem Herzen. Diese wunderbare Möglichkeit, eine Melodie einzufangen, um die Herzen der Menschen zu erzittern, indem man sie nur interpretiert. Dazu braucht es magische Instrumente wie das Bandoneón.” Carla Algeri

        

Frauen und Bandoneón – “…no, it can’t be”

nina_alexia_kl02When I walk around the city with my bandoneón case, when I get on a bus, I can see the surprise in the driver’s eyes. The case looks familiar, he knows it’s a bandoneón but, in the hands of a woman… no, it can’t be. Actually, this reaction makes me feel good. Also, when men look at me, they make me feel as if I’ve stolen something. What is a woman doing carrying that case? I like the look on the faces of the ticket collectors, the bus conductors. I put my bandoneón to one side, and the bus driver says to me,“ I used to play, I played with De Caro’s brother. I used to go to his house“. He’s steering and collecting tickets… there are a lot of bandoneón-playing bus drivers.“      In the 90’s – Susana Ratcliff – Argentina

 

Paquita_BernardoAuch wenn der Bandonionbauer Alfred Arnold seine Instrumente mit dem Konterfei der Pariser Bandonistin Nina Alexia bewarb, wurde & wird das Instrument Bandonion von Männern dominiert. Warum Frauen bis vor “Kurzem” kein Bandoneon spielten, lässt sich ebensogut damit erklären, warum es keinen Frauenfussball gab. Das traditionelle Rollenbild (Diplomarbeit 2003 – Melina Sedo – Uni Saarland) begann sich erst vor wenigen Jahren aufzulösen. Noch gibt es Nationalromantiker die dies sehr bedauern. Die großartigen Klangbeispiele und die Versiertheit vieler Bandoneón-Solistinnen, fegen die verstaubten Traditionen hinweg, dem androgynen Gott sei Dank. Selbstverständlich gab es Ausnahmen, a57_klin Argentinien der zwanziger Jahre Paquita Bernardo (wiki) oder wie auf dem linken Foto: zwei Frauen am Bandonion.

 

Mit der Wiederbelebung des Tangos (Mitte der siebziger Jahre), haben viele Frauen das Bandoneón für sich entdeckt – dennoch überschaubar (etwa im Verhältnis Frau/Mann 1:20). Das Bandoneón, durch “female Bandoneónistas” der einstigen patriarchalischen Männerwelt (totango.net/orquestas) entrissen und genderisiert, offenbart Multikultur vom allerfeinsten und “umspinnt” die Welt mit seinem seidenweichen scharfen Ton.

 

Deshalb ist es möglich, eine {Auswahl von Spielerinnen “around the world”} zusammenzustellen. Den Fotos und Klangbeispielen ist zu entnehmen, sehr beliebt bei Bandonistinnen sind Originalinstrumente von Ernst Louis (ELA) und Alfred Arnold (AA) in Oktavstimmung und Rheinischer Tonlage.  Auch Neuinstrumente von Klaus-Gutjahr/D, Uwe Hartenhauer/D, der Bandonion- & Concertinafabrik/D, Oscar Fischer/Arg. oder Scandalli & Victoria/Ital. sind zu entdecken. Ein Vergleich der klanglichen Eigenschaften von Alt- zu Neuinstrumenten bleibt subjektiv, ob man den patinierten schnaufig hüstelnden Klang eines 90-jährigen “Doble-A” oder den glasklaren neutoTONischen bevorzugt. Interessanterweise werden in Asien vielfach Neuinstrumente gespielt, was das wirtschaftliche Überleben der sächsischen Bandonionbauer bestärkt. Dieser Aspekt bestätigt das Paradoxon des anfangs erwähnten Traditionsverlustes – Konservatorien für Bandonion gibt es, aber in Deutschland kein einziges. Doch was für ein Glück für die Welt, mit “überkommenen” Traditionen zu brechen und die Männerdomäne Tango von Frauen interpretiert zu hören. Mir fällt vor allem auf: Damen spielen sinnlicher und erahnen die Seele des Bandonions intuitiv.

     ”Mit meinem Bandoneón spreche ich, sage ich ihm, ich werde wütend, denke ich. Es ist mein beständiger Begleiter in jedem Moment meines Lebens. Es ruht in sich auch wenn man es beugt, es ist spannend es zu erforschen, manchmal glaubt man es zu dominieren, doch es zeigt mir immer meine Grenzen. Für Andere die es nicht kennen ist es wie eine Welt voll Fragen.  Jedes Instrument ist einzigartig und unwiederbringlich. Sie haben ihr Parfüm und es vermischt sich mit meinem. Es bleibt auf Distanz, behält sein Geheimnis für sich – es wiegt mich, wenn ich müde bin, ich empfinde immer seine Umarmung und es ist ein wunderbares Gefühl, es zu berühren. Ich stelle mir das Ende meiner Tage vor mit meinem Bandoneón in me inem Haus mitten in der Unermesslichkeit meiner Musik.” Quelle

 

Die Metamorphosen


1. Ursprung  –
Der Name des Tango ist nicht mit Bestimmtheit herzuleiten. Sklaven, welche aus Afrika nach Argentinien verschleppt wurden gaben den Anstoss zum Tango in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Vermutung liegt nahe, dass “Tanger” durchaus als Namensgeber in Betracht kommt. Im Schmelztiegel am Rio de la Plata treffen die Benachteiligten Afrikas und Europas zusammen. Trotz aller Wut über die politischen und sozialen Zustände hält es kein Mensch ohne Musik aus. Im Gegenteil Musik betäubt und Sehnsüchte lassen sich stillen. Das ist der Kern des Tango auch heute noch, für die, welche nach seinen Wurzeln suchen. Die erste Wandlung von der Folklore hin zum

2. klassischen Tango findet Ende des 19. Jhd. statt. Er ist Protest, Trotz und obszön wider die Obrigkeit. Dennoch verliert er sich in Trivialität und Beiläufigkeit, was letztendlich dazu führt, dass Mitte der Fünfziger Jahre nur noch wenige den Tango seiner Herkunft wegen huldigen.

 

A_P023. Tango Nuevo – die Avantgarde, in den argentinischen Nachkriegsjahren hatte sich der klassische Tango abgestanden, immer den gleichen Mustern folgend, der Jugend zu altbacken und auch den Auswirkungen des Krieges geschuldet, schien er in den gleichen Dornröschenschlaf wie in Deutschland zu verfallen. Den Bordellen und der „Unterschicht“ entsprungen, war er der besseren Gesellschaft suspekt. Wider dem gesellschaftlichen Establishment, mit Beharrlichkeit, Ignoranz, Fleiß, Muße zum Neuen und dennoch auf seinen traditionellen Wurzeln ruhend, erarbeitete sich außerhalb Argentiniens der „Tango Nuevo“ eine ganz neue Qualität. Einmal mehr war es der nationale Stolz einer überkommenen Kaste, die sich der modernen Interpretation sträubte. „Verehrt und angespien“ leitete der italienisch stämmige Astor Piazzolla* im Exil die Renaissance des Tango und des Bandoneón ein.     *(totango.net/Piazzolla.html)

 

4. Tango als Klassiksparte der Hochkultur … Das mag jeder für sich entscheiden, ob es „noch“ Tangos ist, wenn die Partituren von Gardel & Piazzolla in den hochsubventionierten Spielhallen “notenrein” abgespielt werden, um mit der Popularität des Genres weiteren Besucherschwund aufzuhalten.

 

5. Moderne Romantik und zeitlose Schönheit bar seiner Wurzeln, das ist was Carla Algeri meint, wenn der Tango beliebig und herzlos rund um den Globus erklingt. Letztendlich ist es das Bandoneón, welches die Seelen tröstet – auch ohne Tango.

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